Gwendolyn Brooks: Maud Martha

  Rassismus, Klassengesellschaft und Patriarchat

Unter dem Motto Mehr Klassikerinnen veröffentlicht der Verlag Manesse Werke von Frauen, berühmten Autorinnen genauso wie vergessenen oder sogar bisher nicht ins Deutsche übersetzten. Zu letzteren gehört die US-Amerikanerin Gwendolyn Brooks (1917 – 2000), die 1950 als erste Schwarze den Pulitzerpreis in der Kategorie Lyrik und später zahlreiche weitere Auszeichnungen erhielt.

Während die Gedichte bis heute nicht auf Deutsch vorliegen, hat Andrea Ott nun ihren einzigen Roman Maud Martha von 1953 übersetzt. Er besteht aus 34 Einzelgeschichten um die gleichnamige Protagonistin, überwiegend aus ihrer Sicht erzählt und autobiografisch inspiriert. Die „Vignetten“, wie Daniel Schreiber sie in seinem sehr erhellenden Nachwort nennt, die man größtenteils auch als unabhängige Kurzgeschichten lesen könnte, werfen Schlaglichter auf den alltäglichen Rassismus, die Klassengesellschaft, insbesondere das Arbeitermilieu, und die patriarchalische Familienordnung in den 1920er-Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Kindheit, Jugend, Ehe, Mutterschaft
In der ersten Vignette ist Maud Martha sieben Jahre alt:

Sie mochte Schokolinsen und Bücher und gemalte Musik (tiefblau oder zartsilbern) und den sich wandelnden Abendhimmel, von den Stufen der hinteren Veranda aus betrachtet. Und Löwenzahn. (S. 7)

© B. Busch

In den Löwenzahnblüten sieht sich das wenig selbstbewusste Kind gespiegelt, sind sie doch ebenso gewöhnlich, verzieren aber als „gelbe Halbedelsteine“ das „geflickte grüne Kleid ihres Hinterhofs“ (S. 7). Maud Martha wünscht sich, geliebt zu werden, etwas zu erschaffen und „der Welt einfach eine gute Maud Martha schenken“. (S. 21)

Die einzelnen Kapitel handeln von Maud Marthas Kindheit, während derer sie sich stets hinter der hellhäutigeren, charmanteren zwei Jahre jüngeren Schwester und „Königin“ Helen zurückgesetzt fühlt, von finanziellen Schwierigkeiten der Eltern, ersten Verehrern sowie ihrem Traum von New York und einem „gediegenen“ Zuhause, der mit der Eheschließung mit Paul und dem Bezug einer armseligen „Kitchenette“ im Chicagoer Stadtteil South Side zerplatzt. Die eheliche Desillusionierung schiebt sie beharrlich auf ihre dunkle Hautfarbe und das Kraushaar, die ihrer Ansicht nach ihren etwas hellhäutigeren Mann stören müssen, nicht auf ihren offensichtlich unterschiedlichen Intellekt: Während sie William S. Maugham liest, studiert Paul „Sex in the Married Life“.

Szenen mit Gänsehaut-Effekten
Dem Text merkt man die Lyriker an, insbesondere bei den kreativen Farbadjektiven und Bildern. Zwar hätte ich mir einen weniger fragmentierten und ausführlicheren Text gewünscht und Maud Marthas Beteuerung, das Leben eher als Komödie denn als Tragödie zu sehen, konnte ich über weite Strecken nicht nachvollziehen. Trotzdem berühren viele Vignetten stark, so eine diskriminierende Szene im Hutladen, den Maud Martha trotzdem würdevoll verlässt, oder die vorletzte Geschichte, in der ihre geliebte Tochter Paulette im Kaufhaus von Santa Claus ignoriert wird und der Mutter aufgeht, dass sie ihr die grausame Wahrheit über die Diskriminierung nicht mehr lang verheimlichen kann. Stark sind auch die Charakterisierung der Mitbewohnerinnen und –bewohner des Mietshauses und Maud Marthas deprimierender Arbeitsversuch als Hausmädchen. Überrascht hat mich der Rassismus innerhalb der schwarzen Community aufgrund unterschiedlicher Teints.

Die Entdeckung dieses modernen Klassikers über eine in eng gesteckten Grenzen widerständige, wütende und doch nicht verzagte Frau, die sich nicht ihrer Würde berauben lässt, lohnt daher sehr.

Gwendolyn Brooks: Maud Martha. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Andrea Ott. Mit einem Nachwort von Daniel Schreiber. Manesse 2023
www.penguinrandomhouse.de

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